Politische Stellung - klienteläre Bindungen:
Trotz der fehlenden Vorraussetzungen, die soziale Herkunft betreffend, ist Coscias Karriere durch seinen rasanten Aufstieg in höchste Machtpositionen an der römischen Kurie eine der herausstechenden kurialen Laufbahnen im 18. Jhd. Möglich wurde sein Aufstieg durch eine enge persönliche und quasi exklusive Bindung an seinen Patron Vincenzo Maria Orsini, Erzbischof von Benevent und später Papst Benedikt XIII. (1724-1730) [JO].
Im Konklave von 1724 führte Coscia wichtige Verhandlungen mit der Partei der Albani zugunsten einer Wahl seines Gönners [DBI, Bd. 30, S. 6; Pastor, Bd. 15, S. 467].
Zu den weltlichen Angelegenheiten, die während des Pontifkats Benedikts XIII. zum grösseren Teil Coscia überlassen waren, gehörte u.a. das Problem des Legatenrechtes der Herrscher Siziliens und die Auseinandersetzung des Papstes mit dem Kaiser über die Frage der Monarcia Sicula [DBI, Bd. 30, S. 8; Pastor, Bd. 15, S. 488ff.]. Im März 1728 war er Mitglied der Kongregation, die über die Abschaffung der Sizilianischen Legation und die sogenannte „Bulle Fideli“ Benedikts XIII. beriet, die dann am 30. 8. 1728 erlassen werden sollte [DBI, Bd. 30, S. 8; Pastor, Bd. 15, S. 494]. In dieser Frage stand die Bestätigung der Abschaffungsbulle Clemens´XI. Albani (1700-1721) gegen das seit dem Mittelalter bezeugte Legatenrecht der weltlichen Herrscher Siziliens.
Allem Anschein nach ließ sich Coscia leicht für politische Stellungnahmen in verschiedenen Angelegenheiten gewinnen, darunter auch in der Auseinandersetzung des Hl. Stuhles mit dem Hause Savoyen [Pastor, Bd. 15, S. 495]. Die Kontroverse über das Patronatsrecht des Hauses Savoyen über die Kirchen seines Gebietes, die Besetzung der Bischofssitze und Abteien in Piemont und Sardinien, die beschädigte kirchliche Immunität und die direkte Herrschaft in Piemont und Monteferrato, die von Rom aber als kirchliche Lehen betrachtet wurden, hatte schon in der Opposition Vittorio Amadeos II. gegenüber Clemens XI. Albani (1700-1721) ihren Anfang genommen und bestand weiterhin im Pontifikat Benedikts XIII. Orsini (1724-1730) [DBI, Bd. 30, S. 8; Pastor, Bd. 15, S. 495f.].
Coscia hatte als Günstling eine äußerst starke Position inne, welche er in nicht unerheblichem Maß ausnutzte. Es kam zu einer nachweislich extremen persönlichen Bereicherung des beneventaner Klientels, die in einem bedeutenden Kontrast zum von Benedikt XIII. Orsini an den Tag gelegten Asketismus stand [DBI, Bd. 30, S. 7; Pastor, Bd. 15, S. 482ff.]. So groß war die Vertraulichkeit zwischen Coscia und dem Papst, so völlig unkritischer Natur dessen Zuneigung, dass im Januar 1727, als dem Papst die Beweise über Coscias widerrechtliche Aneignung von 11.000 Skudi erbracht wurden, diese nur zur Folge hatten, dass Benedikt XIII. sie ihm in einem offiziellen Akt übertrug [DBI, Bd. 30, S. 7; Pastor, Bd. 15, S. 485]. Dies ging soweit, dass in den Kassen unter Coscia solche Missstände entstanden, dass 1729 eine Kongregation eigens zur Regelung der Finanzen einberufen wurde [Pastor, Bd. 15, S. 485].
Unter den Kardinälen hatte sich die zum beneventaner Klientel in Opposition stehende politische Partei der Zelanti gebildet, deren Hauptvertreter die Kardinäle Olivieri und Corradini waren [Pastor, Bd. 15, S. 489], jedoch blieb Coscias Macht bis zum Tod Benedikts XIII. Orsini am 21. 2. 1730 ungebrochen.
Schon am folgenden Tag aber musste er und mit ihm das gesamte beneventaner Klientel den Vatikan räumen [DBI, Bd. 30, S. 8].
Während des folgenden Konklaves von 1730 zählte C., wie auch weitere Kardinäle der Beneventaner, zur savoyischen Partei, die sich aufgrund der Initiative des Königs Vittorio Amadeos II. erstmalig bildete [Pastor, Bd. 15, S. 611]. Gleichzeitig vertrat er die Interessen des Kaisers. In einem persönlichen Dankesschreiben des Kaisers an die Kardinäle, die im Konklave die Kaiserlichen um Kardinal Cienfuegos unterstützt hatten, war auch C. erwähnt. [Pastor, 15, S. 624]
In dem Brief vom 27. 2. 1730, in dem ihm vom Kollegium der nötige Beistand zugesichert wurde, um am Konklave teilnehmen zu können, das am 5. 3. 1730 beginnen sollte, war er allerdings auch aufgefordert worden, das Governo von Avignon abzugeben [DBI, Bd. 30, S. 9]. Zunächst musste Coscia jedoch wiederholt um die Herausgabe seiner Kleidung und anderer für die Teilnahme am Konklave notwendiger Güter bitten, die in Castel Sant´Angelo unter dem Vorwand der Sicherheit versiegelt worden waren, so dass er erst am 4. 4. 1730 ins Konklave eintreten konnte [DBI, Bd. 30, S. 9].
Am 10. 4. 1730 musste er Druck der Kardinäle trotz seiner Versicherungen, Opfer von Verleumdungen zu sein, nachgeben [DBI, Bd. 30, S. 9].
Nach der förmlichen Einleitung des Prozesses gegen ihn am 1. 12. 1730 versuchte Coscia sich unter den Schutz des Kaisers zu stellen, indem er dessen Insignien an seinem Palast anbringen ließ [DBI, Bd. 30, S. 9].
Die öffentliche Meinung in Benevent hingegen war gespalten. So wurden auf der einen Seite Ermittlungen über das Geschehene eingefordert, um zu verhindern, dass C. die Nachfolge als Bischof von Benevent antreten würde. Da sich in der Zwischenzeit die Anklagen gegen ihn gehäuft hatten [DBI, 30, S. 9], war bereits im März 1730 Monsignor Filippo Buondelmonte als Kommissar nach Benevent geschickt worden [DBI, Bd. 30, S. 9]. Auf der anderen Seite versuchte C., auch im weiteren Verlauf des Prozesses, die öffentliche Meinung in Benevent mittels Verbreitung von Druckschriften für sich zu gewinnen. So fanden im Erzbistum, besonders in Fragnitello, dem Besitz C.´s, den Kardinal unterstützende Sympathiekundgebungen statt. Auch in der Stadt Benevent formierte sich eine Partei, die ihn in Schutz nahm [DBI, Bd. 30, S. 10].
Am 23. 12. 1730 musste C. letztendlich der Forderung der Kongregation nachkommen, auf das Erzbistum Benevent zu verzichten [DBI, Bd. 30, S. 10]. Jedoch veröffentlichte er daraufhin einen weiteren Brief an den Papst, in welchem er nochmals protestierte, auf die Kirche von Benevent verzichtet haben zu müssen „nulla praevia citatione, nulla habita audientia“ [DBI, Bd. 30, S. 10].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Benevent der Prozess um C. nicht auf die Kongregation zur Untersuchung des Falles und die Person C.´s beschränkt blieb. Im Gegenteil, es kam zu einer heftigen öffentlichen und bemerkenswerterweise medialen Auseinandersetzung [DBI, Bd. 30, S. 10].
An dem Punkt, an dem die Wahrscheinlichkeit, dass Coscia innerhalb kürzerer Zeit seine Freiheit verlieren würde, Sicherheit wurde, floh er gemeinsam mit seinem Maggiordomo Conte Cutiello da Montefuscoli am 1731-03-31 nach Neapel [DBI, Bd. 30, S. 10] und widersetzte sich damit der päpstlichen Verordnung Clemens´XII. Seine Ankunft in Neapel war so geheim, dass selbst der neapolitanische Nuntius, Erzbischof Nicosia R. F. Simonetti seiner nicht gewahr wurde, was die Ermittlungen, die ihn aufspüren sollten, erheblich erschwerte [DBI, Bd. 30, S. 10].
Da sich Coscia also dem päpstlichen Willen auch weiterhin widersetzte, wurde er am 23. 4. 1731 all seiner Privilegien verlustig erklärt und seine Benefizien wurden mit Sequester belegt. Am folgenden Tag wurde bestätigt, dass er der Strafe des Interdikts erliege. Die Flucht Coscias nach Neapel verursachte auf diese Weise eine Kontroverse zwischen der päpstlichen und der kaiserlichen Autorität. [DBI, Bd. 30, S. 10]
Im September 1731 versuchte Coscia sogar, seine durch schwere Gicht verursachte Krankheit zu instrumentalisieren [DBI, Bd. 30, S. 10].
Am 2. 10. 1731 schließlich verlor Coscia trotz seiner Bemühungen all seine Benefizien aufgrund seiner Weigerung, sich in Rom zu rechtfertigen [DBI, Bd. 30, S. 10]. Als Coscia dann im April 1732 nach Rom zurückkehrte, ließ ihm Clemens XII. am 13. 4. 1732 mitteilen, dass er sich als interniert betrachten müsse [DBI, Bd. 30, S. 11]. Angeklagt wurde er im folgenden einer ganzen Reihe von Delikten, darunter u. a. Ämterhandel, Urkundenfälschung, Veruntreuung und Bestechlichkeit [DBI, Bd. 30, S. 11]. Zur Verteidigung Coscias brachte der Advokat Giovanni Filippo Toppi vor allem formale Argumente zur Sprache, wie z.B. die Unrechtmäßigkeit der gerichtlichen Vorladung bei einem Aufenthalt an einem immunen Ort und die Tatsache, dass einige der Anklagepunkte nicht bewiesen werden konnten [DBI, Bd. 30, S. 11].
Aber der Willen Clemens´ XIII., gegen das Klientel seines Vorgängers in aller Härte durchzugreifen, blieb ohne Abstriche bestehen. Daher wurde der Prozess, der sich aufgrund der Fähigkeiten von Coscias Verteidiger noch lange hätte hinziehen können, durch den Papst ein Jahr später gegen Ende April 1733 beendet [DBI, Bd. 30, S. 11]. Die letzte Verhandlung der Kongregation De nonnullis, in welcher Coscia einstimmig in allen Anklagepunkten für schuldig befunden wurde, fand am 27. und 28. 4. 1733 statt. Am 9. 5. 1733 erging der Schuldspruch [DBI, Bd. 30, S. 11].
Die Härte des Urteils verursachte einige Bewegung im Hl. Kollegium, aber keiner der Kardinäle wagte, es zu kritisieren oder um Milde zu bitten. Einzig Karl VI. ergriff Partei und legte Beschwerde beim päpstlichen Nuntius in Wien ein. Er forderte eine Abmilderung der Strafe aufgrund von zahlreichen Unregelmäßigkeiten [DBI, Bd. 30, S. 11]. Trotzdem wurde Coscia unmittelbar danach ins Castel Sant´Angelo verbracht [DBI, Bd. 30, S. 12].
Am Tag des Todes Clemens XII. (1740-02-06) schickte Coscia einen Brief an alle Kardinäle, in dem er das volle Recht einforderte, am Konklave teilzunehmen [DBI, Bd. 30, S. 12]. Am 17. August wurde dann schließlich Benedikt XIV. Lambertini (1740-1758) gewählt und von Kardinal Aquaviva um eine Revision des Prozesses ersucht [DBI, Bd. 30, S. 12]. Eine Fortführung der Politik seines Vorgängers war jedoch nicht im Sinne des neugewählten Papstes.
Will man seine politische Rolle einschätzen, so lässt sich zusammenfassend festhalten, dass C. wohl nicht der Alleinverantwortliche für die politischen Fehler des Pontifikats Benedikt XIII. gewesen sein kann. Die Tatsache, dass er dem Papst persönlich so nahe stand, stattete ihn mit bemerkenswerten Einflussmöglichkeiten aus (wie sie sonst nur den Kardinalnepoten zukamen) die er zum großen Teil zu seinem eigenen Vorteil ausnutzte. Eben diese enge Bindung an seinen Patron machte ihn aber auch in den Augen der Zeitgenossen zum Verantwortlichen für dessen Fehler, gewissermaßen zum „Sündenbock“ für alle durch die beneventaner Klientel verursachten Missstände und Korruptionen. Durch die exklusive Bindung an einen einzigen Patron war sein rasanter Aufstieg möglich geworden, nach dessen Tod sein tiefer Fall und die Auslieferung seiner Existenz an die durch den Nachfolgepapst an die Macht gekommene, politische Opposition jedoch auch vorprogrammiert.
Das ungewöhnlich harte Urteil wurde gefällt, da der neue Papst sich unbedingt von seinem Vorgänger absetzen wollte und gegenüber dem aufgebrachten römischen Volk Position beziehen musste. Dies muss ebenso als symptomatisch für die politischen Verhältnisse in Rom und als typische Abstoßungserscheinung bei Pontifikatswechsel gewertet werden. C. wurde schuldig gesprochen, weil dies politisch so gewollt war. An seiner Person wurde unter Klemens XII. ein Exempel statuiert. [JO / AK] |